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Drug-Checking: Mehr Chance als Gefahr?

ARWED: Herr Dr. Hentschel, eingangs einige Worte zu Ihnen. Sie blicken auf ein langjähriges Engagement in der Suchthilfe zurück.
Dr. Axel Hentschel:Ich setze mich seit meinem Pädagogikstudium für akzeptanzorientierte, pragmatische Drogenarbeit ein. Im Bereich der Selbsthilfe und der akzeptierenden Drogenarbeit habe ich viele Vereine mitbegründet und war lange Jahre in der Aidshilfe tätig. Ich war Gründungs- und Vorstandsmitglied von Eve und Rave NRW e.V., einem Verein zur Förderung der Technokultur und zur Minderung der Drogenproblematik sowie Vorstandsmitglied von JES (Junkies, Ehemalige und Substituierte) NRW e.V. Ich habe auch den JES Bundesverband e.V. mit gegründet, dem Junkie Bund Köln e.V. stand ich eine Zeitlang als kommissarischer Geschäftsführer vor.
Momentan arbeite ich hauptamtlich für JES NRW e.V. als Projektleiter. Primäres Ziel des Projektes ist es, die Selbsthilfe Drogen gebrauchender Menschen in NRW zu fördern und innovative Ideen im Kontext der Drogenhilfe zu entwickeln. Beispielgebend hierfür ist das Thema Überlebenshilfe durch Naloxon (Opioidantagonist). Im Rahmen eines Forschungsprojektes und Fachveranstaltungen haben wir gemeinsam mit akzept und der Deutschen AIDS Hilfe e.V. auf dieses Thema aufmerksam gemacht. Heute kann jeder Opioidgebrauchende Naloxon auf Kassenrezept erhalten.

AREWD: Sie machen zusammen mit dem Verein JES NRW auf das Thema Drug-Checking aufmerksam. Was ist das?
Dr. Axel Hentschel: Grundsätzlich geht es darum, die „Stoffe“ die konsumiert werden auf ihren Inhalt hin zu überprüfen. Drug-Checking gibt es bereits in sieben europäischen Ländern, alle haben gute Erfahrungen gemacht. Künftig will die Stadt Berlin Drug-Checking in drei etablierten Drogenberatungsstellen anbieten. Der Berliner Senat hat dafür zunächst 120.000 Euro bereitgestellt. Vorgesehen ist ein Beratungsgespräch, bevor schließlich die Probe angenommen wird. Bei der anschließenden chemischen Analyse geht es sowohl um den Anteil des Hauptwirkstoffes als auch um alle weiteren Inhaltsstoffe. Eine der Analysemethoden heißt HPLC (High Performance Liquid Chromatografie). Der Konsument erhält bei der Abgabe einen Buchstaben-Ziffern-Code, um die Anonymität zu garantieren. Das Analyseergebnis kann telefonisch oder in einem weiteren Beratungsgespräch erfragt werden. Geprüft werden in Berlin nicht nur Ecstasy-Pillen, sondern bis auf Cannabis (nur in Ausnahmefällen) auch alle anderen Substanzen beziehungsweise Inhaltsstoffe. Berlin hat eine große Partyszene, in der neben den sogenannten legalen Drogen und Ecstasy vielfach auch Amphetamine konsumiert werden.

ARWED: Dauert das nicht viel zu lange, wenn jemand konsumieren will?
Dr. Axel Hentschel: Ich gebe zu, das Berliner Konzept ist nicht niederschwellig. In Wien/Österreich gehen die Drug-Checker direkt zu den Partys. Bereits in den 90er Jahren war auch ich mit Drogensubstanz-Listen auf nordrhein-westfälischen Partys unterwegs, um konsumbereite Teilnehmer aufzuklären.
Allerdings erreichen Sie auf Partys längst nicht alle Konsumenten, und leider sind sie in dem Moment auch nicht alle gesprächsbereit. Wesentlich mehr Bewusstsein für ihr Tun haben Drogenkonsumenten, wenn sie aktiv Drogenberatungsstellen aufsuchen mit dem festen Willen, die Drogen prüfen zu lassen. Durch das Ergebnis erhalten sie detaillierte Informationen und können dann die Gefahren und Risiken des Konsums besser einschätzen.
Doch der Schlüssel sind für mich die begleitenden Gespräche, in denen gemeinsam reflektiert wird. Drug Checker müssen daher nicht nur über ein pharmakologisches Grundwissen und eine akzeptierende Grundhaltung verfügen, sondern zugleich auch erfahrene Gesprächspartner im Kontext Substanzkonsum sein.

ARWED: Drug-Checking ist also ein weiterer persönlicher Zugang zum Konsumenten?
Dr. Axel Hentschel: Ja, im Sinne von Dialog und Akzeptanz. Wenn es Drug-Checking bundesweit geben würde, hätten Sie als Eltern einen guten Hebel. Sie könnten dann vorschlagen, die Drogen vor dem Konsum checken zu lassen. Im Wesentlichen geht es hierbei um die Versachlichung des Gesprächs zwischen Eltern und Kindern.

ARWED: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, Drug Checking sei ein Signal, dass illegaler Drogenhandel akzeptiert wird?
Dr. Axel Hentschel: Das verneine ich. Durch Drug-Checking wird dem illegalen Handel Boden entzogen, indem auf verunreinigten oder zu hoch konzentrierten Stoff aufmerksam gemacht und das Bewusstsein für das Schädigen der Gesundheit geschärft wird. Untersuchungen aus Österreich belegen, das Drug-Checking Erstkonsumenten eher abhält zu konsumieren. Außerdem erhalten wir Aufschluss darüber, was alles auf dem Markt ist. Besonders gefährliche Substanzen werden dann im Internet veröffentlicht. Dort heißt es dann beispielsweise: „Diese XTC-Tabletten enthalten 227.6 mg MDMA. Bei solch hohen Dosen können unter anderem folgende Nebenwirkungen auftreten: Kiefer mahlen, Augen- und Nervenzucken, Kopfschmerzen, Übelkeit, Krampfanfälle, Halluzinationen.“

ARWED: Wieso gibt es dann Drug-Checking nicht schon bundesweit? Auch in Berlin zog sich die Einrichtung von Drug-Checking jahrelang
Dr. Axel Hentschel: Es ist strafrechtlich diffizil, illegale Drogen entgegen zu nehmen und zu untersuchen. Das heißt, ohne das „Ja“ der Staatsanwaltschaft geht nichts. Das ist nicht einmal Länderentscheid, sondern obliegt dem Gerichtsbezirk. Das macht es kompliziert.
Diese Auffassung vertritt auch der Kölner Strafrechtler Professor Cornelius Nestler, der aber zugleich die Einrichtung des Drug-Checking grundsätzlich für Rechtens hält. Die Berliner haben alle juristischen Fragen geklärt. Zu hoffen bleibt, dass sich bundesweit weitere Träger und Kommunen finden, die Drug-Checking jetzt endlich umsetzen. Wir sind hier in einem frühen Stadium der Auseinandersetzung, bleiben aber auf jeden Fall dran.

Weitere Informationen erhaltet ihr bei Dr. Axel Hentschel, axel.hentschel@jesnrw.de